Prekäres Leben                                                von Thomas Giese


Jan-Christoph Hauschild:

"B.Traven" - die unbekannten Jahre"


Jan Christoph Hauschild hat das Leben Otto Feiges bis zu dessen Emigration im Jahre 1924 in dem Buch "B. Traven - die unbekannten Jahre" erzählt

Feiges Leben auf 700 Seiten
Das 700-seitige Werk „B.Traven – die unbekannten Jahre“ von Jan-Christoph Hauschild ist detailreich.Vieles aus Feiges Leben wird minutiös nachgezeichnet. Teilweise spannend wie ein Krimi zu lesen, teils ausführlich notiert wie ein offizielles Gerichtsprotokoll, das jede Einzelheit festhält, ist das Buch zu einem umfassenden Werk geworden.

Der Autor nimmt auch ein sehr eigenartiges Phänomen unter die Lupe: Es gibt bis heute kein einziges Lexikon, in dem der Name Otto Feige erwähnt wird. Dies ist umso verwunderlicher, da bereits 1978 Will Wyatt mit seiner BBC-Dokumentation "B. Traven - A Mystery Solved" belegen konnte, dass "B.Traven" bzw. "Ret Marut" mit dem Maschinenschlosser Otto Feige aus Schwiebus identisch ist. Bereits Kurt Tucholsky konnte 1930 in der "Weltbühne" nachweisen, dass Traven aus proletarischem Millieu stammen muss. Und zwar nicht, wie damals vermutet aus US-amerikanischem, sondern aus deutschem Arbeitermillieu
>Tucholsky-Rezension lesen

Kann ein Arbeiterkind mit Messer und Gabel essen?
Oder gar ein Buch schreiben?

Dass ein Ex-Maschinenschlosser fähig wäre, Weltliteratur zu schreiben, wird jedoch von einigen „Wissenschaftlern“ heute vehement bestritten. Der Germanist Karl Siegfried Guthke hält z.B. Wyatts These, "Traven" sei mit Otto Feige identisch schlicht für "undenkbar". Der Mann, der sich "B.Traven" nannte, "liebte eine gewisse Förmlichkeit im Familienleben, Förmlichkeit der Kleidung, der Tischsitten, der Umgangsformen, wie sie einem Proletarier", so schreibt Guthke, "denn doch nicht recht zu Gesicht stehen würden." Was unter dem Namen "B.Traven" erschienen sei, behaupten Guthke&Co sei einfach eine andere Klasse! Zu so etwas sei ein Ex-Maschinenschlosser eben nicht in der Lage.

Ja klar, "ein Proletarier" kann auch nicht mit Messer und Gabel essen und sitzt mit Bier und Chips vor der Glotze! Für Kurt Tucholsky war es noch ganz selbstverständlich, dass Traven aus Arbeitermillieu stammte. Heute jedoch geben sich Wissenschaftler wieder dazu her, dies als "undenkbar" zu bezeichnen.

Die Verachtung und Verächtlichmachung trifft heute also nicht nur Hartz-IV-Beziehende und "die Unterschicht", sondern diese Verächtlichmachung nimmt in zunehmendem Maße auch die Arbeiterschaft als Ganze ins Visier. Ein gebürtiger Raubritter mag noch so viel klauen und kopieren, er wird in Deutschland immer sein begeistertes Publikum finden. Er muss nur glaubhaft machen können, dass er von adligem Geblüt und Gestüt ist (und ausreichend Gel in seinen Haaren klebt). 

"B.Traven - die unbekannten Jahre" ist ein gutes Gegengift. Doch auch der Germanist Hauschild kann sich nicht ganz von Klassenvorurteilen frei machen. Hauschild schreibt in bester Absicht Otto Feige zu verteidigen: "Dass Menschen aus schwierigen sozialen Lagen deswegen nicht automatisch zu einem düsteren Lebensweg verurteilt sind, sondern sich entwickeln und emanzipieren können, ist eine Binsenweisheit."
Ist das wirklich so? Ist jedem Schlosserlehrling tendenziell ein "düsterer Lebensweg" vorherbestimmt? Und ist das Dasein als Maschinenschlossergeselle einer "schwierigen sozialen Lage" gleichzusetzen? Da schimmert durch, dass Hauschild nicht an der Werkbank groß wurde, sondern an der Universität sozialisiert worden ist. 

Sein Bruder Ernst betonte seine frühe Cleverness
2009 sagte Hauschild in einem Interview: „Ein gelernter Maschinenschlosser aus Ostbrandenburg ist natürlich bei weitem nicht so bezaubernd wie ein illegitimer Sohn Kaiser Wilhelms II., gebildet und weltgewandt.“ Doch hier ist zu fragen: Warum sollte ein Maschinenschlosser, der zum Schriftsteller von Weltrang wird, weniger „bezaubernd“ sein als ein „illegitimer Sohn“ eines ausgedienten Monarchen?

Aber Hauschild ist zugute zu halten, dass er solche Sätze durch das von ihm sorgfältig Recherchierte wieder ausbügelt. Wir können beim Lesen quasi einem Wissenschaftler über die Schulter schauen, wie er sich eine, ihm vollkommen unbekannte Welt erarbeitet. Zuweilen ist jedoch störend, dass der Autor in dem Buch die nüchternen Fakten mit seinen eigenen Interpretationen überformt. Gerade weil die wild ins Kraut schießenden Spekulationen von Wissenschafskollegen in dem Buch so scharf gegeißelt werden, wäre an manchen Stellen eine größere Beschränkung auf Fakten zu wünschen gewesen.
Alles in allem aber: ein wichtiges Buch. 

Das Proletarierkind Otto gewinnt bei Hauschild klare Konturen:
"Otto war ein intelligenter, exellenter Schüler, dem lediglich aus Geldmangel ein Studium versagt blieb; er war ein Bücherwurm; er achtete schon als junger Wehrpflichtiger auf seine Kleidung; er war mit Anfang Zwanzig politisch engagiert, sein Bruder Ernst betonte seine frühe Cleverness. In seiner Familie herrschte eine Atmosphäre des proletarischen Fleißes und des Bildungsdrangs, der Vater arbeitete sich vom Töpfer zum Betriebsaufseher hoch, die Mutter hatte eine Leidenschaft für das Laientheater, der Bruder Willi konnte Klavier spielen und las gern Jack London, der Bruder Ernst lebte und arbeitete vorübergehend in England und Irland."

Geschichte der Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, prekäres Schauspielerleben, Gelsenkirchener Lokal- und wilhelminische und postwilhelminische Sozialgeschichte
Viele Rätsel im Leben Otto Feiges werden in dem Buch gelöst. Das Buch endet mit der Überfahrt des Ex-Maschinenschlossers über den Atlantik. Jenseits des großen Wassers lebte Otto Feige in Mexiko, einem Land, das sich seit dem Sturz des Diktators Porfirio Diaz im Jahre 1910 die Bildung der Massen und insbesondere die Bildung der Arbeiterschaft auf die Fahnen geschrieben hatte. Der Ex-Maschinenschlosser Otto Feige besuchte in den Jahren 1927, 1928, 1929 jeweils die „Sommeruniversität“ in der Universitätsstadt von Mexico City. 

Neben Geschichte der Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, wird in dem umfangreichen Buch auch Gelsenkirchener Lokal- und Münchener Revolutionsgeschichte, Sozialgeschichte und das prekäre Schauspielerleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelt. "B.Traven - die unbekannten Jahre" wird damit zu einer wichtigen Quelle.

Es wäre allerdings wünschenswert, wenn bei einer 2. Auflage dieses 700-seitigen Werks das Personen- durch ein Sachregister ergänzt würde. Dann könnte "B.Traven - die unbekannten Jahre" auch zu einem wichtigen Handbuch für Arbeiterkultur in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts werden.

zurück zu TRAVEN

> WDR-Mediathek zu "B.Traven" - die unbekannten Jahre"