Jan-Christoph Hauschild:
"B.Traven" - die unbekannten
Jahre"
Jan
Christoph Hauschild hat das Leben Otto Feiges bis zu dessen Emigration im Jahre 1924 in dem Buch "B. Traven
- die unbekannten Jahre" erzählt
Feiges Leben auf 700 Seiten
Das 700-seitige Werk „B.Traven – die unbekannten
Jahre“
von Jan-Christoph Hauschild ist detailreich.Vieles aus Feiges Leben
wird minutiös
nachgezeichnet. Teilweise spannend wie ein Krimi zu lesen, teils
ausführlich notiert wie ein offizielles Gerichtsprotokoll, das jede
Einzelheit festhält, ist das Buch zu einem
umfassenden Werk geworden.
Der Autor nimmt auch ein sehr eigenartiges Phänomen unter die
Lupe: Es gibt bis heute kein einziges Lexikon, in dem der Name Otto Feige
erwähnt wird. Dies ist umso verwunderlicher, da bereits 1978 Will Wyatt mit
seiner BBC-Dokumentation "B. Traven - A Mystery Solved" belegen konnte,
dass "B.Traven" bzw. "Ret Marut" mit dem Maschinenschlosser
Otto Feige aus Schwiebus identisch ist. Bereits Kurt Tucholsky konnte 1930 in der "Weltbühne" nachweisen, dass Traven
aus proletarischem Millieu stammen muss. Und zwar nicht, wie damals
vermutet aus US-amerikanischem, sondern aus deutschem Arbeitermillieu
>Tucholsky-Rezension lesen
Kann ein Arbeiterkind mit Messer und Gabel essen?
Oder gar ein Buch schreiben?
Dass ein Ex-Maschinenschlosser fähig wäre,
Weltliteratur zu schreiben, wird jedoch von einigen „Wissenschaftlern“ heute vehement
bestritten. Der Germanist Karl Siegfried Guthke hält z.B. Wyatts These,
"Traven" sei mit Otto Feige identisch schlicht für
"undenkbar". Der Mann, der sich "B.Traven" nannte, "liebte eine gewisse Förmlichkeit im
Familienleben, Förmlichkeit der Kleidung, der Tischsitten, der Umgangsformen,
wie sie einem Proletarier", so schreibt Guthke, "denn doch nicht
recht zu Gesicht stehen würden." Was unter dem Namen "B.Traven"
erschienen sei, behaupten Guthke&Co sei einfach eine andere Klasse! Zu so
etwas sei ein Ex-Maschinenschlosser eben nicht in der Lage.
Ja klar, "ein Proletarier" kann auch nicht mit Messer und Gabel essen und sitzt mit Bier und Chips vor der Glotze! Für Kurt Tucholsky war es noch ganz selbstverständlich, dass Traven aus Arbeitermillieu stammte. Heute jedoch geben sich Wissenschaftler wieder dazu her, dies als "undenkbar" zu bezeichnen.
Die Verachtung und Verächtlichmachung trifft heute also nicht nur Hartz-IV-Beziehende und "die Unterschicht", sondern diese Verächtlichmachung nimmt in zunehmendem Maße auch die Arbeiterschaft als Ganze ins Visier. Ein gebürtiger Raubritter mag noch so viel klauen und kopieren, er wird in Deutschland immer sein begeistertes Publikum finden. Er muss nur glaubhaft machen können, dass er von adligem Geblüt und Gestüt ist (und ausreichend Gel in seinen Haaren klebt).
"B.Traven - die unbekannten Jahre" ist ein gutes Gegengift. Doch auch der Germanist Hauschild kann sich nicht ganz
von Klassenvorurteilen frei machen. Hauschild schreibt in bester
Absicht Otto Feige zu verteidigen: "Dass Menschen aus schwierigen sozialen
Lagen deswegen nicht automatisch zu einem düsteren Lebensweg verurteilt sind,
sondern sich entwickeln und emanzipieren können, ist eine Binsenweisheit."
Ist das wirklich so? Ist jedem Schlosserlehrling
tendenziell ein "düsterer Lebensweg" vorherbestimmt? Und ist das
Dasein als Maschinenschlossergeselle einer "schwierigen sozialen
Lage" gleichzusetzen? Da schimmert durch, dass Hauschild nicht an der
Werkbank groß wurde, sondern an der Universität sozialisiert worden ist.
Sein Bruder Ernst betonte seine frühe Cleverness
2009
sagte Hauschild in einem Interview: „Ein gelernter Maschinenschlosser aus
Ostbrandenburg ist natürlich bei weitem nicht so bezaubernd wie ein illegitimer
Sohn Kaiser Wilhelms II., gebildet und weltgewandt.“ Doch hier ist zu fragen: Warum sollte ein Maschinenschlosser,
der zum Schriftsteller von Weltrang wird, weniger „bezaubernd“ sein als ein
„illegitimer Sohn“ eines ausgedienten Monarchen?
Aber Hauschild ist zugute zu halten, dass er
solche Sätze
durch das von ihm sorgfältig Recherchierte wieder ausbügelt.
Wir können beim Lesen quasi
einem Wissenschaftler über die Schulter schauen, wie er sich eine,
ihm
vollkommen unbekannte Welt erarbeitet. Zuweilen ist jedoch
störend, dass der Autor in dem Buch die nüchternen Fakten mit
seinen eigenen Interpretationen
überformt. Gerade weil die wild ins Kraut schießenden
Spekulationen von
Wissenschafskollegen in dem Buch so scharf gegeißelt
werden, wäre an manchen Stellen eine größere
Beschränkung
auf Fakten zu wünschen gewesen.
Alles in allem aber: ein wichtiges Buch.
Das Proletarierkind
Otto gewinnt bei Hauschild klare Konturen:
"Otto war ein intelligenter, exellenter Schüler, dem
lediglich aus Geldmangel ein Studium versagt blieb; er war ein Bücherwurm; er
achtete schon als junger Wehrpflichtiger auf seine Kleidung; er war mit Anfang
Zwanzig politisch engagiert, sein Bruder Ernst betonte seine frühe Cleverness.
In seiner Familie herrschte eine Atmosphäre des proletarischen Fleißes und des
Bildungsdrangs, der Vater arbeitete sich vom Töpfer zum Betriebsaufseher hoch,
die Mutter hatte eine Leidenschaft für das Laientheater, der Bruder Willi
konnte Klavier spielen und las gern Jack London, der Bruder Ernst lebte und
arbeitete vorübergehend in England und Irland."
Geschichte
der Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, prekäres
Schauspielerleben, Gelsenkirchener Lokal- und wilhelminische und postwilhelminische Sozialgeschichte
Viele Rätsel im Leben Otto Feiges werden in dem Buch gelöst. Das
Buch endet mit der Überfahrt des Ex-Maschinenschlossers über den Atlantik.
Jenseits des großen Wassers lebte Otto Feige in Mexiko, einem Land, das sich
seit dem Sturz des Diktators Porfirio Diaz im Jahre 1910 die Bildung der Massen und insbesondere
die Bildung der Arbeiterschaft auf die Fahnen geschrieben hatte. Der Ex-Maschinenschlosser Otto Feige
besuchte in den Jahren 1927, 1928, 1929
jeweils die „Sommeruniversität“ in der Universitätsstadt von Mexico City.
Neben Geschichte der Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur, wird in dem umfangreichen Buch auch Gelsenkirchener Lokal- und Münchener Revolutionsgeschichte, Sozialgeschichte und das prekäre Schauspielerleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelt. "B.Traven - die unbekannten Jahre" wird damit zu einer wichtigen Quelle.
Es wäre allerdings wünschenswert, wenn bei einer 2. Auflage dieses 700-seitigen Werks das Personen- durch ein Sachregister ergänzt würde. Dann könnte "B.Traven - die unbekannten Jahre" auch zu einem wichtigen Handbuch für Arbeiterkultur in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts werden.